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Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas
Prähistorische Archäologie und Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit
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Die mittelalterliche Besiedlung des Selketals
Burg und Dorf Anhalt im Selketal
Für das Selketal um Harzgerode im Unterharz ist bereits für das Frühmittelalter eine intensivere Aufsiedlung anzunehmen. Die ältesten bislang fassbaren Siedlungsreste von einigen Wüstungen stammen aus dem Zeitraum zwischen der Mitte des 9. Jahrhunderts und der Zeit um 1000, wobei anders als im Südharz (Hohenrode) eine karolingerzeitliche Besiedlung noch nicht sicher nachgewiesen werden konnte. Zum Jahre 936 lässt sich aus den Schriftquellen ein königlicher Jagdhof in Siptenfelde erschließen. Eine Klostergründung in Thankmarsfelde erfolgte 970. Im späten 10. Jahrhundert bestand in Hagenrode/Harzgerode ein Markt, dem offenbar eine überörtlicher Funktion im Güteraustausch zugedacht war. Welche Rolle bei der frühmittelalterlichen Aufsiedlung des Selketals und der umgebenden Höhenzüge der Bergbau gespielt hat, der für diese Region erst zum Jahr 1300 schriftlich fassbar wird, ist noch völlig unklar.
Burg und Dorf Anhalt gehören nicht dieser frühen Siedlungsphase im Selketal an, sondern sind Teil des hochmittelalterlichen Landesausbaus. Im Zuge der intensivierten Nutzung der Landschaft wurden neue Siedlungen, zum Teil mit planmäßigem Grundriss etwa in Form des zweizeiligen Reihendorfes, errichtet (Baurod) und Ackerflächen angelegt. In welchem Verhältnis Land- und Montanwirtschaft zueinander standen und ob schon vor dem 13. Jahrhundert ein Bergbau auf Eisen und Silber betrieben wurde, müssen weitere Forschungen klären. Nach dem Rückzug der Reichsgewalt nach der Schlacht am Welfesholz 1115 entstand ein Machtvakuum, das die regionalen Adelsgeschlechter für sich zu nutzen wussten. Die Herren von der Konradsburg erbauten die Burg Falkenstein und die Askanier, die zuvor am Harzrand in Ballenstedt und Aschersleben wichtige Stützpunkte besaßen, legten Burg und Dorf Anhalt an.
Siegel des Grafen Heinrich II. von Aschersleben, Fürst zu Anhalt, von einer auf Burg Anhalt ausgestellten Urkunde aus dem Jahr 1263 (CdA 2, Nr. 281).
Umfangreiche Freilegungen fanden auf der Burg bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Auf Initiative der Fürsten von Anhalt wurden die schon damals nur noch spärlich erhaltenen Grundmauern ausgegraben, die als Grundlage für eine Rekonstruktion der Burganlage dienen sollten, zu der es jedoch nicht mehr gekommen ist. Vielmehr verfielen die freigelegten Backsteinmauern zu großen Teilen wieder, sodass ohne neue Ausgrabungen die alten Grabungsaufzeichnungen heute die wichtigste Grundlage zur Beurteilung der Anlage darstellen. Eine Aufnahme der noch aufrecht stehenden Backsteinmauern durch das Seminar für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit konnte klarstellen, dass die sichtbare Bausubstanz am Palas und an der Ringmauer nicht in die Zeit Albrechts des Bären zurückreicht, wie landläufig behauptet wurde und es auch in überregionalen Handbüchern zu lesen ist, sondern dass sie erst im 13., vielleicht sogar erst im 14. Jahrhundert entstanden ist. Der älteste, bislang bekannte Bauteil der Burg ist ein Rundturm von 18 m Durchmesser, der sich bei den Altgrabungen inmitten des Burghofes fand, heute wieder verschüttet ist und noch nicht näher datiert werden konnte. Das vorliegende Fundmaterial aus dem Burgbereich entstammt dem 12.–14. Jahrhundert; einige Keramikfunde könnten auch dem 11. Jahrhundert angehören, doch lässt sich die Frage nach dem Zeitpunkt der Gründung der Burg, der vor 1140 liegen muss, noch nicht sicher bestimmen. In der Mitte des 15. Jahrhunderts war die Burg verlassen.
Mauerreste des Palaskellers im Herbst 2017 (Foto A. Bartrow).
Beschlagblech aus Buntmetall, vergoldet, mit Darstellung einer Frauenbüste, Altfund von Burg Anhalt
(Foto U. Lustfeld).
Das 1311 ersterwähnte Dorf Anhalt zählt unter den über 50 in der Umgebung bekannten mittelalterlichen Wüstungen sicher zu den eindrucksvollsten. Das ehemalige Dorf, welches der Burg auf einem Hochplateau unmittelbar vorgelagert ist, trägt nicht nur den berühmten Namen, sondern zeichnet sich auch durch eine prägnante Topographie aus. Auf einer Fläche von 8–10 ha finden sich die Ruine einer 1440 verlassenen Kirche, Brunnen, Wegeverläufe, Terrassierungen, Gebäudestandorte, eine Abschnittsbefestigung sowie ein Steinbruch und mehr als 30 Pingen, die einen Abbau von Eisenerz bezeugen. Abgesehen von einer bereits 1902 erfolgten Freilegung des Kirchengrundrisses und einigen kleineren, von ehrenamtlichen Akteuren durchgeführten Maßnahmen, hat es bis vor kurzem keine archäologischen Untersuchungen des Bodendenkmals gegeben. Seit Anfang 2017 widmet sich das Seminar für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit gezielt der Erforschung des Dorfes Anhalt.
Studierende beim Freilegen eines Steinkellers im Dorf Anhalt im Zuge der Lehr- und Forschungsgrabung des Seminars für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 2018 (Foto F. Rösch).
Unter der örtlichen Grabungsleitung von Dr. Felix Rösch wurden zunächst Begehungen und geomagnetische Prospektionen durchgeführt, denen zwei Lehr- und Forschungsgrabungen folgten. Sie hatten das Ziel, Alter, Topographie und die ökonomische Grundlage des Dorfes zu erschließen. Mehrere im Zentrum des Dorfes angelegte Schnitte erzielten bereits einige vielversprechende Ergebnisse. So konnte ein rampenartig in den Boden eingetiefter und mit Bruchsteinen verkleideter Ofen sowie sechs umgebende Herdstellen freigelegt werden. Sieben in der Verfüllung dieses bislang singulären Ofentyps angetroffene Roheisenfunde von bis zu 25 kg Gewicht liefern deutliche Hinweise auf eine Eisenproduktion und damit ein wirtschaftliches Standbein des Dorfes. Dabei handelte es sich um eine Anlagenensemble, dessen Funktion wahrscheinlich im technologischen Übergangsbereich vom Renn- zum Hochofen anzusiedeln ist, womit dem Befund nicht nur für die Region Unterharz, sondern für die Entwicklung der mittelalterlichen Eisenverhüttung allgemein von Bedeutung ist.
3D-Modell des rampenartig eingetieften Ofenbefundes (Modell F. Rösch).
Weiterhin konnten die Überreste mehrerer Steinfundamente sowie ein Keller freigelegt werden. Darunter befinden sich ein Streifenfundament und eine ringförmige Mauer von 3,2 m Durchmesser, die als Herdsockel gedient haben dürfte. Dazu gibt es Parallelbefunde in der durch Paul Grimm im südlichen Harzrandgebiet ausgegrabenen Wüstung Hohenrode, die als Koch- oder Backhäuser („Feuerhäuser“) zu verstehen sind. Hinweise auf ein größeres Hauptgebäude von mindestens 10,5 x 12 m lieferte zudem eine Reihe von partiell erfassten Fundamenten und Fundamentausbruchsgruben, in deren Mitte der Keller angetroffen wurde. Mächtige Lehmschichten im Umfeld der Fundamente erbrachten zudem Hinweise darauf, dass das Aufgehende der Gebäude in der für die Region typischen Lehmweller- oder Stampflehmtechnik ausgeführt war.
Insgesamt wurden bei beiden Grabungen zusammen über 6000 Funde angetroffen, unter denen die Irdenwaren in den insbesondere für das 13./14. Jahrhundert gängigen Ausprägungen dominieren. Darüber hinaus fanden sich auch einige Stücke gehobenen Trinkgeschirrs aus Faststeinzeug und Glas. Erwähnenswert sind weiterhin glasierte Hohlziegel, die für den ländlichen Kontext eher ungewöhnlich sind, ein silberner Miniaturfingerring mit Fassung, ein Brakteat, Buntmetallschlacken sowie Militaria in Form von Krähenfüßen, Armbrustbolzenspitzen und einem Dolch. Die Funde datieren vom 12. bis ins 14./15. Jahrhundert.
Ansprechpartner:
- Prof. Dr. habil. Tobias Gärtner
- Anna Bartrow M.A. M.Sc.
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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