Kontakt
Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas
Prähistorische Archäologie und Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit
Telefon: +49 (0) 345 55 24051
Telefax: +49 (0) 345 55 27057
stefanie.bagehorn@praehist....
Emil-Abderhalden-Str. 26-27
06108 Halle (Saale)
Login für Redakteure
Wüstung Nienover
Die Stadtwüstung Nienover bei Uslar im Weserbergland ist ein seltenes Beispiel für eine komplett verödete mittelalterliche Stadt. Sie wurde 1993 entdeckt, seitdem fanden Fächer übergreifende archäologische und umweltgeschichtliche Untersuchungen in Kooperation mit dem Zentrum Ökologie der Universität Kiel (Prof. Dr. H.-R. Bork) statt, die ab 2000 von der DFG gefördert wurden. Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur unterstützte die Auswertung. Wir konnten vorzügliche Einblicke in die planerische und bauliche Struktur der um 1190 auf dem Plateau vor der Burg der Grafen von Dassel und Nienover gegründeten mit Wällen und Gräben befestigten ca. 300 mal 500 m großen Siedlung gewinnen. Ein spindelförmig auf das West- und Osttor zulaufendes Dreistraßenschema und eine Nord-Süd-Achse erschlossen die Stadt, die frühzeitig dicht besiedelt war. Ein Haus konnte inzwischen auf Initiative des Landkreises Northeim vor Ort rekonstruiert werden. Nach den beiden Zerstörungen um 1220 und 1270 schrumpfte bzw. verödete die Stadt. Dadurch sind für eine typische kleine planmäßig angelegte deutsche Stadt des Mittelalters die frühen Phasen der Entwicklung in groben Zügen und mancherlei Details erfassbar. Die Befunde und die umfangreichen Fundmaterialien erschließen ausgewählte Aspekte des Alltagslebens und der Wirtschaft der Bewohner. Besondere Aussagekraft besitzt die Keramik, die den Wandel von relativ archaischen, formal und technologisch einfachen Inventaren um 1200 bis hin zu anspruchsvollen und vielfältigen Geschirrensembles für die Tafel der Zeit um 1250 manifestiert. In Funden und Bauten spiegeln sich die Umformungen der abendländischen Gesellschaft des Mittelalters unter dem Einfluss vielfältiger Faktoren wie Bevölkerungswachstum, wirtschaftlicher Aufschwung, technische Neuerungen und Städtebildung sowie der Aufstieg des Bürgertums. Die Gründung, aber auch die Verödung und komplette Aufgabe der Stadt sind ein Spiegelbild der politischen Kämpfe um die Ausbildung der Landesherrschaft, bei der die Stadtherren von Nienover, wie viele andere auch, schließlich größeren Mächten, hier den Herzögen von Braunschweig und Lüneburg unterlagen. Damit bildeten sich im 13. Jh. die Grundlagen der bis heute nachwirkenden deutschen Kleinstaaterei heraus. Forschungen zur Kulturlandschaft im Solling stellen die mittelalterliche Stadt in ihr Umland und erweitern den zeitlichen Horizont.